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Quelle: Märkische Allgemeine, Dahme Kurier, 02.05.2009


   
 
 

Die Welt ist eine Scheibe Begegnung Ein Schausteller baut nichtsahnend sein Karussell auf – und trifft einen Fahrgast von 1956

Ein Spaziergang am Nottekanal wurde für Wolfgang Wick zur Reise in die Kindheit. Auf dem Festplatz, wo sich bis Sonntag die Kirmes dreht, entdeckte er „sein“ Motorrad – auf dem Karussell von 1949.





Von Tanja Kasischke


KÖNIGS WUSTERHAUSEN Ein vierjähriger Knirps, ein Miniatur-Feuerstuhl, ein Kirmestag in Leipzig im Frühjahr 1956. Wolfgang erklimmt das Kinderkarussell und geht zielstrebig auf das Motorrad zu. Ehe die Fahrt beginnt, drückt die stolze Mutti noch schnell auf den Auslöser der Kamera. Gestern steckte das Foto in Wolfgang Wicks Westentasche. 53 Jahre später hat er „sein“ Motorrad wiedergesehen.


Zufällig, als er über den Festplatz am Nottekanal schlenderte. „Das Karussell hab’ ich sofort erkannt“, sagt Wick. Ausgerüstet mit dem nostalgischen „Beweisfoto“ sprach er bei Schausteller Frank Andrich vor – und eroberte sich den Platz im Motorradsattel für kurze Zeit zurück.


Frank Andrich, Karussellbesitzer in dritter Generation, revanchierte sich mit einem Steckbrief des nostalgischen Fahrgeschäfts. Gebaut 1949, drehte es lange seine Runden in Zeitz in Sachsen-Anhalt. Auf einer Betriebserlaubnis aus dem Jahr 1963 steht der Name des Besitzers: Paul Seele. Daneben kleben Wertmarken. Frank Andrich, dessen Schaustellerfamilie aus Luckenwalde zur Kirmes nach Königs Wusterhausen gekommen ist, schlägt das heutige Logbuch des Karussells auf. Grüne Stempel erinnern an den Fahrzeug-TÜV, bescheinigen das Einverständnis der Städte, ein Fahrgeschäft aufzustellen.


Die gesamten neuen Bundesländer haben Andrich und sein Sohn Gorden bereist, einen Tag brauchen sie, um Motorräder, Autos, die Straßenbahn, die Feuerwehr und den Hubschrauber zu montieren, damit die kleinen Kirmesbesucher ihre Runden darauf drehen können. Wie Wolfgang Wick anno 1956.


„Das Nummernschild ist weg“, hat dieser derweil bemerkt. Tatsächlich: In seiner Kindheit war der fahrbare Untersatz mit einem DDR-Kennzeichen in Leipzig zugelassen, Buchstabe „S“. Wick zeigt auf das Feuerwehrauto, es hat sein Schild behalten. Am Rumpf des Mini-Fahrzeugs prangt ein „D“ für Potsdam. Frank Andrich eilt hinzu, nickt entschuldigend. „Das Karussell war in sehr schlechtem Zustand, als wir es 1981 bekommen haben. Ein paar Sachen haben wir ersetzen müssen.“ Dazu zählen das Schiff, von dem im 60 Jahre alten Betriebsplan die Rede ist, ein paar Fahrräder und zwei Raketen. „Die waren dort“, sagt Wolfgang Wick und zeigt auf die Mitte des Fahrgeschäft.


Familie Andrich bemüht sich, das nostalgische Äußere des Karussells so gut es geht zu erhalten. Regelmäßig klappern die Luckenwalder Trödelmärkte und Kleinanzeigen nach Ersatzteilen ab. Auf Rügen ist das außergewöhnliche Stück – bundesweit sind noch sechs baugleiche Karussells im Einsatz – so bekannt, dass Andrichs zur jährlichen Kirmes „regelrecht eingeladen wurden“, verrät der Unternehmer stolz. „Andere Schausteller stückeln ihr Karussell beliebig zusammen, wir nicht.“ Der Preis dafür, dass der Enkel im selben Hubschrauber sitzen kann wie schon sein Opa, bleibt trotzdem human: 1,50 Euro kostet die Fahrt. „Zu meiner Zeit waren’s 20 Pfennige“, fügt Wolfgang Wick schmunzeln an. Mit „seinem“ Motorrad scheint er eine Ausnahme gewesen zu sein: Das Gros der kleinen Fahrgäste heute rangelt um die Pilotenplatz im Hubschrauber oder das Steuer der Feuerwehr.


Sechs baugleiche Nostalgie-Karussells, und trotzdem hat der Königs Wusterhausener Wick „seines“ – auf dem er als kleiner Bub saß – unterscheiden können. Wie das? Es ist das einzige mit zwölf Stützsäulen. „Alle übrigen haben 16“, hat Wick in Erfahrung gebracht.


Der Zufallsfund hat seinen Forschergeist geweckt, Wolfgang Wick will nun herausbekommen, ob eines der übrigen fünf Karussells noch ein Motorrad mit DDR-Kennzeichen hat. Frank Andrich gibt ihm den Hinweis, dass ein solches Fahrgeschäft in Dresden steht, ein weiteres in Forst in der Lausitz. Ein Liebhaber dafür finde sich immer. Andrichs Karussell wird Sohn Gordon in vierter Generation führen.
 
 
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